München (ots) –
Ob Kita, offener Treff für Familien oder Wohngruppen für junge Menschen: Auch für soziale Einrichtungen nehmen die Auswirkungen von Energiekrise und Inflation im Laufe des Winters weiter zu: „Soziale Einrichtungen sind Orte, an denen die Konsequenzen dieser schwierigen Zeit deutlich spürbar werden, schließlich müssen wir täglich damit umgehen“, sagt Ina Franzkewitz vom SOS-Kinderdorf Frankfurt, das neben einer Kinderbetreuungsstätte und einem Familienzentrum auch eine Wohngruppe sowie ambulante Hilfen zur Erziehung anbietet. Im Interview erklärt die Einrichtungsleiterin, wie sie und ihre Kolleg*innen die kalte Jahreszeit gut überstehen und soziale Wärme in den Einrichtungen bewahren wollen.
Frau Franzkewitz, bleiben in diesem Jahr die Weihnachtsgeschenke für die Kinder des SOS-Kinderdorfes Frankfurt aus?
Das hoffen wir natürlich nicht. Aber viele unserer Familien sind aktuell noch mehr als sonst zum Sparen gezwungen, davon bleibt auch die Weihnachtszeit nicht verschont. Daher nehmen zum Beispiel Weihnachtsaktionen, bei denen wir dank unserer Spender*innen unseren Kindern Geschenke ermöglichen können, eine immer wichtigere Rolle ein.
Wie wirken sich die aktuellen Krisen bei den von Ihnen betreuten Familien aus?
Die allermeisten haben ein niedriges Haushaltseinkommen und damit eh schon viel zu ertragen: Erst die Pandemiesituation, nun noch der Krieg in der Ukraine und als eine Konsequenz daraus die Sorgen vor dem noch lang andauernden Winter. Auch vorher war bei vielen das Budget schon knapp bemessen, schließlich lebt in Deutschland jedes fünfte Kind unterhalb der Armutsgrenze. Das ist an sich schon ein unhaltbarer Zustand, aber aktuell verstärken die Inflation und daraus resultierend die Erhöhung der Lebensmittel- und Energiepreise die Situation extrem.
Fragen betreute Familien vermehrt nach Sachspenden?
Ja, die Nachfrage in unserem Spiel- und Kleidermarkt steigt stetig. Viele Familien kommen, um ihren Bedarf an Kinder- und auch Erwachsenenbekleidung zu decken, da ihnen für Einkäufe im Einzelhandel einfach das Geld fehlt. Wir sehen es ja beispielsweise auch an anderer Stelle sehr eindrücklich: die Tafeln in Deutschland können die Bedarfe der Menschen nach günstigen Lebensmitteln nicht mehr decken und sind völlig überlastet. Aus meiner Sicht sind das deutliche Warnsignale, dass unsere sozialen Auffangsysteme versagen.
Neben den finanziellen Nöten sollten wir aber auch die psychischen Belastungen nicht vergessen…
Das ist mir enorm wichtig. Seit 2020 haben wir das Gefühl, Krise nicht nur als Ausnahme, sondern eher als Normalität zu erleben. Das kann und wird auf Dauer nicht gesund sein, weder für die jungen Menschen bei uns, noch für uns selbst. Wir müssen täglich mit den Konsequenzen der Krise umgehen, was wiederum zu einer noch höheren Belastung für unsere Mitarbeiter*innen und Ehrenamtlichen führt, die allesamt mit immensem Idealismus und Herzblut tätig sind. Gleichzeitig sind sie und ihre Familien auch Teil der Gesellschaft und von den Krisenmöglicherweise betroffen. Es wäre ein wichtiges Signal, auch jetzt noch einmal explizit die Menschen, die in den sozialen Einrichtungen und Bildungseinrichtungen, im Gesundheitswesen oder in der Pflege tätig sind, wahrzunehmen und wertzuschätzen.
Nun haben wir Winter und damit auch für Ihre Einrichtung massiv gestiegene Preise für Gas und Öl…
Wir haben für diesen Winter und das kommende Jahr deutlich mehr Budget eingeplant. Ob das reicht, werden wir abwarten müssen.
Hinzu kommen gestiegene Lebensmittelpreise – kommen Lebensmittelhändler*innen entgegen?
Da viele Unternehmen im Lebensmittelbereich, ganz gleich, ob groß oder klein, selbst von der Krise betroffen sind und mit steigenden Preisen zu kämpfen haben, ist ein Entgegenkommen für viele schlichtweg nicht leistbar. Aktuell können wir leider nicht von Nachlässen profitieren. Wir befürchten eher das Gegenteil: die Preise werden steigen.
Welche Sparmaßnahmen haben Sie bereits unternommen?
Es sind viele verschiedene, kleine Stellschrauben, an denen unsere Mitarbeitenden sowie die von uns betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien drehen können, um zum Beispiel den Energieverbrauch zu reduzieren. Dazu gehört das Ausschalten von elektronischen Geräten, anstatt diese im Standby-Modus zu lassen. Ein Reduzieren der Raumtemperatur und das richtige Stoßlüften helfen beim Energiesparen ebenso wie das Wählen niedrigerer Temperaturen beim Wäschewaschen. Bei Einkäufen achten wir vermehrt auf Angebote und legen Vorräte an. Am Ende summieren sich diese Maßnahmen und helfen, Energie und Kosten im Rahmen unserer Möglichkeiten einzusparen.
Auf lange Sicht wollen Sie sich vermutlich möglichst unabhängig von fossilen Energieträgern machen?
So ist es. Wir planen, im Jahr 2023 unsere Kita mit einer Photovoltaik-Anlage ausstatten zu lassen. Diese Technik ist ebenfalls für unsere stationären Wohngruppen vorgesehen, wo wir außerdem hoffen, durch die Nutzung von Erdwärme, diversen nachhaltigen Baustoffen und einer großen Zisterne für Regenwasser einen Unterschied machen zu können.
Wie kann es gelingen, gerade in der kalten Jahreszeit, soziale Wärme in der Einrichtung zu leben?
Indem wir – wie auch in anderen, als krisenhaft erlebten Phasen – noch einmal näher zusammenrücken, füreinander da sind, unsere individuellen Ängste und Bedürfnisse wahrnehmen und auch aussprechen. Bei allen liegen die Nerven etwas blank, wir sind vielleicht nicht so stressresistent wie gewohnt und machen uns mehr Sorgen und Gedanken. Das betrifft unsere Klient*innen, aber auch die Mitarbeitenden – und natürlich auch mich selbst. Ich glaube, es hilft gerade niemanden, wenn wir so tun, als würde uns das alles nicht betreffen und als könnten wir völlig unbeirrt weiter machen. Das Wissen umeinander und um die individuellen Herausforderungen – ich erhoffe mir, dass wir so gemeinsam durch diesen Winter und die insgesamt herausfordernden Zeiten kommen.
Was fordern Sie von der Politik?
Wir wünschen uns, dass von politischer Seite gezielt Menschen mit unteren und mittleren Einkommen mit einem durchdachten Entlastungspaket unterstützt werden – und dass die Bedeutung von Familien in ihrer ganzen Vielfalt wahrgenommen und gestärkt wird: von Vater-Mutter-Kind über Alleinerziehende bis hin zu Regenbogenfamilien. Neben einer ausreichenden finanziellen Unterstützung bedarf es dazu beispielsweise auch einer zeitgemäßen Ausgestaltung von familienfreundlichen Arbeitsplätzen. Auch die Verbesserung von Rahmenbedingungen, die langfristig verlässliche und pädagogisch hochwertige Kinderbetreuung ermöglichen, ist von großer Bedeutung. Nicht zuletzt muss das Thema Kinderarmut mit oberster Priorität behandelt werden, damit zukünftig alle Kinder die gleichen Chancen auf ein unbeschwertes Aufwachsen, auf Bildung und Teilhabe haben.
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